Borneo: Vom Mythos zur Tiefkühlpizza

BORNEO: Vom Mythos zur Tiefkühlpizza / Between myth and palmoil plantations

Seit ich denken kann, besitzt der Name Borneo für mich einen magischen Klang . Die drittgrößte Insel der Erde ruft Bilder von dampfendem, undurchdringlichem Dschungel, menschenfressenden Kopfjägern mit Knochen im Zopf und giftigen Insekten im Kingsize-Format vor meinem geistigen Auge wach. Tatsächlich besitzt Borneo eine unglaubliche biologische Vielfalt. Aufgrund des stabilen Klimas in Äquatornähe leben nach konservativen Schätzungen 170.000 verschiedene Arten hier. Permanent werden auch heute immer noch neue entdeckt. Unter dem Dach des immer grünen Dipterocarp Waldes, der Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant hält, dessen Bäume teilweise bis zu 90 Metern Höhe erreichen, leben mehr unterschiedliche Spezies, als in jedem anderen Regenwald der Erde.

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Fotos: Kerstin Schäfer & Thomas Bering

Es scheint, als wären hier wahrlich die Pferde mit dem Schöpfer durchgegangen: Man findet ein nur 20 Zentimeter „großes“ Hirschferkel – das kleinste Huftier der Welt, sichtet bärtige Wildschweine. Nashornvögel müssen ihren riesigen Schnabel in der Luft halten, ohne abzustürzen. Der Orang Belanda, der Holländer Mensch oder Probosci Monkey  – ein auf Borneo endemischer Affe – hat eine obszön lange Nase mitbekommen, der die Einheimischen an ihre ehemaligen holländischen Herren erinnert. Darüber hinaus ist in der Luft eine ganze Flugstaffel aktiv. Da es am Boden lebensgefährlich zugeht, hat sich eine ganze Palette an Tieren die Fähigkeit zum Segelflug angeeignet. Vielleicht nur aus Bequemlichkeit, um nicht von einem Baum absteigen und am nächsten mühselig wieder empor klettern zu müssen. Auf Borneo gibt es vierzehn Arten von Flughörnchen und Flugdrachen. Dazu fliegende Frösche und Flugmakis, die segelnden insektenfressenden Zwitterwesen, fast ganz von Flughaut umgebene Säugetiere von der Größe einer Hauskatze. Außerdem noch Zwergelefanten, die ausnahmsweise nicht fliegen, eine umfangreiche Reptilienwelt bestehend aus grossen Exen bis hin zum neun Meter langen Leistenkrokodil und unzähligen giftigen und ungiftigen Schlangen von winzig bis zur Zehn-Meter-Netzpython. Und natürlich das Highlight der Insel: der berühmte Waldmensch, der Orang Utan, der uns Menschen so ähnlich scheint. Aber auch krabbelndes Getier existiert in Hülle und Fülle. Ein Stabinsekt wird bis zu einem halben Meter lang. Käfer – sehr große Käfer! – pflügen durchs Laub. Schmetterlinge in allen Farben und Größen findet man überall. Und dieses Gewimmel ist hier nicht nur theoretisch heimisch. Nein, mit einem kundigen Guide bekommt man viele dieser Spezies tatsächlich zu sehen. Allerdings haben fast alle der oben genannten die dumme Angewohnheit entweder nachtaktiv zu sein, sich in Morgen- oder Abenddämmerung im Schatten herumzudrücken oder sich im Dickicht eines chaotischen Dschungeldachs zu verstecken. Sie sind klugerweise scheu, fix auf den Beinen, sind ausgezeichnet getarnt und somit schwer zu fotografieren. 

Zusätzlich zur bunten Tierwelt kommt die verwirrende Vielfalt der Fauna. Borneo besitzt mehr Pflanzenspezies als die USA und Kanada zusammen. Es soll allein 800 Orchideen- und 400 Farnarten geben. Köstliche Durian, Mangustin, Litschi, Ananas und Ingwer wachsen wild. Dorniges Rattan zerschrammt Haut und Kleidung. Epizentrum dieser Artenvielfalt ist der Mount Kinabalu, den man in einem zweitägigen Trekking auch besteigen kann.

Beim Stichwort Trekking, ist das tropische Borneo normalerweise nicht die erste Wahl. Mit 4.095 Metern wird der Mt. Kinabalu im malaiischen Teil der Insel jedoch als der höchste Berg Süd-Ost-Asiens bezeichnet. Obwohl es nur knapp neun Kilometer zum Gipfel sind ist der Trek aufgrund einer durchschnittlichen Steigung von fünfundzwanzig Prozent äußerst anstrengend. Auf dem Weg zum Gipfel durchwandert man unterschiedliche artenreiche Vegetationszonen vom Bergregenwald bis zu den kahlen, windgepeitschten Klippen der Gipfelregion – vergleichbar mit einem Kilimandscharo Trekking. Der Aufstieg ist strikt limitiert: 130 Menschen sind nicht viel an einem großen Bergmassiv, jedoch sorgen enge Zeitfenster an den Checkpoints dafür, dass man nicht allein die Gipfelaussicht genießt. Nach einem Erdbeben im Jahr 2015 mit 16 toten Bergwanderern wurde der Weg an einigen Stellen durch Stufen, Seile oder Leitern gesichert. Vom Laban Rata Guesthouse, wo man nach einer kurzen Nacht zum Gipfel aufbricht, sieht man bei Nacht den Lichtschein der weit vor der Küste liegenden Ölplattformen. Auf dem Gipfel bieten sich fantastische Blicke über die Regenwälder Borneos, die rollende Hügel der Crocker Range bis hin zum Südchinesischen Meer im Westen. Ostwärts erahnt man im Dunst die ersten philippinischen Inseln in der Sulu See.

Und die Krone der Schöpfung, der Homo Sapiens, der weise, gescheite, vernünftige Mensch? Was macht er mit diesem einzigartigen Paradies der Biodiversität? Er verwandelt die wunderbare Vielfalt stetig und unwiederbringlich zu Biodiesel, Kosmetik, Waschmittel und Tiefkühlpizza. Denn die natürlichen Reichtümer der Insel machen sie zugleich zum Ziel gedankenloser Ausbeutung. War es in der Vergangenheit insbesondere die Tropenholzindustrie, hinterlässt heute die wie ein Krebsgeschwür wachsende Palmölindustrie verbrannte Erde, sprich permanente Monokulturen. Laut Greenpeace enthält jedes zweite Produkt in unseren Supermärkten Palmöl: Shampoo, Brot, Kartoffelchips, Schokoriegel, Margarine – das Zeug ist einfach überall drin. Palmöl ist das meistangebaute Pflanzenöl der Welt und liefert hohe Erträge. 85% des weltweit erzeugten Palmöls kommen wiederum von der Insel Borneo. Seit den 90er Jahren hat sich  die Anbaufläche hier versechsfacht. Während des Herstellungsprozesses von Palmöl entsteht außerdem Glycidol – vierzehn Mal so viel, wie bei der Herstellung von Sonnenblumenöl! Ein Stoff der von der Europäischen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit als krebserregend und genverändernd eingestuft wurde. Palmöl-Monokulturen verringern außerdem die Pflanzenvielfalt um 80 bis 90 Prozent und erfordern den großzügigen Einsatz von Pestiziden, die dann auch noch Wälder und Flüsse versauen. Alles damit die Tiefkühlpizza beim Discounter ein paar Cent billiger ist.

Auch Biodiesel aus Palmöl ist keine richtig gute Idee. In der EU wandern etwa fünfzig Prozent des importierten Palmöls in die Tanks, weitere zehn Prozent werden in Kraftwerken verfeuert. Damit die Industrieländer umweltfreundlich Auto fahren können, wird also Regenwald durch Palmölplantagen ersetzt und – schwupps – schon nach 60 Jahren Palmölanbau wird die Karbonbilanz positiv. Na ja, vielleicht dauert es auch bis zu 220 Jahren, meinen andere Wissenschaftler – das hängt davon ab, welche Art von Wald durch die Plantagen ersetzt wird.

Ich hoffe jedoch, die EU rechnet demnächst doch noch einmal nachrechnet. Leider hat sie erst kürzlich die Erlaubnis zur Nutzung von Palmöl zur Energieerzeugung und als Biodiesel bis 2030 verlängert.

Wer mehr Infos möchte, kann gerne einmal unter

https://www.regenwald.org/

https://www.savemulu.org/de/save-mulu/

stöbern.

 


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