Dominica: Don’t panic… we are no cannibals!

Hinter den überforderten Scheibenwischern der Frontscheibe geht ein hartnäckiger Winter mit heftigen Schneeschauern, Sturm und Hagel in die Verlängerung. Anfang April in den Urlaub? Nicht in Deutschland. Also besser ab in die Karibik, ab nach Dominica! Dominica? Nein, wir sprechen nicht von der ‚Dom Rep‘! Das ‚Commonwealth of Dominica‘ ist ein winziger Inselstaat im Antillenbogen. Nur 70.000 Einwohner bevölkern die winzige Nation zwischen den beiden französischen Übersee-Departements Martinique und Guadeloupe – die nördlichste der Inseln unter dem Wind. Und unter diesem lauen Lüftchen ist es herrlich warm!

Dominica profitiert bis heute von seiner Geographie: Zu zerklüftet für eine Plantagenwirtschaft wie auf den Nachbarinseln interessierten sich die Kolonialmächte zunächst kaum für die nur etwa 50 Kilometer lange Insel. So wert- und nutzlos erschien ihnen Dominica, dass es sich nicht zu lohnte, Mühe darauf zu verwenden, den Union Jack oder die Trikolore auf das bisschen Strand zu pflanzen. Doch irgendwann kamen erste Missionare, Glücksritter und entlaufene Sklaven nach Dominica und machten der Urbevölkerung den Lebensraum streitig. …

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In der gesamten Karibik gibt es heute nur auf Dominica noch etwa 3.500 Abkömmlinge der karibischen Ureinwohner. Sie selbst nennen sich Kalinago. Vor Urzeiten von den Ufern des Orinoco eingewandert, wurden sie von den neuen Herren gnadenlos ausgerottet. Die frühen spanischen Conquistadores trafen bei ihren ersten Reisen in die Neue Welt auf eine Bevölkerung, die scheinbar dem Kannibalismus frönte. So ist der Begriff ‚Kannibale‘ eine Verballhornung des Namens der Kariben. Den Grund für diese unfreiwillige Namenspatronage fanden die christlichen Entdecker in den Hütten der Bewohner: Menschliche Knochen, vergraben oder offen drapiert. Justin, kenntnisreicher Guide im Kalinago-Barana-Aute-Village, einer Art Freilichtmuseum, erklärt uns, dass diese Knochenfunde nicht dem Kannibalismus, sondern der etwas skurrilen Angewohnheit geschuldet waren, die Verstorbenen in den eigenen vier Wänden zu bestatten. Später, nachdem die Würmer Ihre Arbeit getan hatten, wurden Opa’s Knochen dann häufig wieder ausgegraben. Auf diese Weise fühlte man sich den Ahnen näher. Diesen hübschen Brauch hat der ein oder andere engstirnige Eroberer wohl missverstanden. Andere Quellen wiederum behaupten schlicht und ergreifend, dass man die Kariben beim Stellvertreter Gottes in Rom angeschwärzt hat. Hauptsächlich, um die höchst unfehlbare päpstliche Erlaubnis zu erhalten, die armen Kariben nach Belieben verkaufen, versklaven oder niedermachen zu können. Egal, welche der beiden Varianten die richtige ist: der Ruf der Kariben war nachhaltig ruiniert und ein jeder vogelfrei. Was dazu führte, dass bei zukünftigen Auseinandersetzungen in den folgenden Jahrhunderten, der juristische Sieger bereits im Vorfeld feststand – die weißen Neuankömmlinge.

Heute ist Dominica ein entspanntes Eiland für Naturliebhaber, fernab vom hektischen Weltgeschehen oder gar richtigen Metropolen. Die Hauptstadt Roseau ist ein kuscheliges Hafenstädtchen mit 17.000 Einwohnern, Präsidentenpalast, einem alten Fort und einigen Bars. Die steilen, bis zu 1.400 Meter hohen Berge der Insel plumpsen meist direkt und strandlos ins Meer. Das hat zur Folge, dass dichter, urtümlicher Regenwald auch heute noch fast die komplette Insel überzieht. Die alten Dschungelpfade der Maroons – der entlaufenen Sklaven – eignen sich ausgezeichnet für Erkundungen ins Inselinnere zu Wasserfällen, vulkanisch aktiven Regionen, Schwefelquellen oder kochenden Bergseen, wie dem Boiling Lake, zweitgrößter thermisch aktiver See der Welt. Die ‚Jacko Steps‘ sind das prominenteste Relikt der Maroons: Sie führen auf in den Fels gehauenen Stufen durch den Regenwald bis sie ein Plateau erreichen, das den Sklaven als Unterschlupf diente. Anschließend geht es steil hinab in ein Flusstal. Zum Ausgangspunkt watet man eine gute Stunde durch hüfthohes Wasser im Flussbett zurück. Dominica bietet als einzige Insel der Region einen 180 Kilometer langen Fernwanderweg. Der Waitukubuli Trail führt quer über die ganze Insel. Waitukubuli bedeutet von ‚hoher Gestalt‘ und ist der Inselname in der Sprache der Kalinago. Den Waitukubuli sollte man nicht unterschätzen. Das ständige Auf und Ab, die schnell wuchernde Pflanzenwelt, Flussdurchquerungen, glitschige Wurzeln, morsches Holz, tropische Regenschauer und schlammige Pfade machen den Weg zu einer herausfordernden und schweißtreibenden Angelegenheit. Die gute Nachricht: Es gibt keine giftigen Schlangen, keine fiesen Spinnen oder sonstiges gefährliches Getier.

Auch die Straßen, die die wenigen kleinen Ortschaften verbinden, sind nicht viel komfortabler als der Waitukubuli. Eng, übelkeitserregend steil und manchmal schlicht fort, bedingen sie ein Fortbewegungsmittel, das vier Räder gleichzeitig antreiben kann. Die Insel bietet kaum ein Stückchen ebenes Land. Schon gar nicht eins, das groß genug wäre, um einem bescheidenen, düsengetriebenen Passagierjet zu ermöglichen, auf der Insel zu landen, ohne ins Meer zu stürzen oder an einem Berghang zu zerschellen. So ist der Zwergstaat nur via Turboprop-Flieger oder Fähre zu erreichen.

Das hilft bis heute, den Massentourismus von der Insel fernzuhalten. Es gibt keine Bettenburgen, da es kaum erwähnenswerte Sandstrände gibt, an denen man Urlauber in größerer Anzahl deponieren kann. Dafür findet man wunderschöne versteckte Badebuchten, in denen man mit dem Betreiber der Beach-Bar allein ist und bei einem lokalen Kubuli Bier in aller Ruhe zusieht, wie der eigene Fisch gegrillt wird. Apropos Fisch: Ein weiteres Plus Dominicas ist sicherlich die variantenreiche kreolische Küche. Der merkt man die exotischen Zutaten, fangfrische Meeresfrüchte und die Nähe zu den Außenposten französischer Kochkultur auf den beiden Nachbarinseln deutlich an. Tannia, Taro und Yams bereichern den Gemüsegarten. Tropische Früchte gibt es in Hülle und Fülle. Bakes, frittierte Fisch- oder Käsebällchen, werden als lokales Fingerfood an der Straße verkauft. Callaloo, der karibische Eintopf, köchelt auf den Öfen. Auf das berühmte ‚Mountain Chicken‘ muss derzeit leider verzichtet werden, da der Hauptbestandteil des Gerichtes – die gemeine Erdkröte – zum Großteil einer Seuche zum Opfer gefallen ist.

Sehr wichtig auf einer Insel von der Größe eines Kanaldeckels ist es, den Fahrplan der ankommenden Kreuzfahrtschiffe im Hinterkopf zu behalten. Es empfiehlt sich, an den kritischen Tagen ein wenig weiter ins Hinterland zu verschwinden. Sonst wird man vielleicht Zeuge, wie mehrere Hundert Menschen einer Minibuskarawane entspringen und den Emerald Pool stürmen – ein wildromantischer Wasserfall mitten im Dschungel mit einem Planschbecken von vielleicht zehn Metern Radius. Es gibt auf Dominica einfach keinen Platz, der für Versammlungen von mehr als 200 Menschen geeignet ist. Einzige Ausnahme ist wohl das Baseball-Stadion von Roseau.

Dieses karibische Gesamtpaket hat wohl auch Johnny Depp, Keira Kneightley und den Rest der Crew von Pirates of the Caribbean überzeugt. Viele Szenen des zweiten und dritten Teils wurden auf Dominica gedreht. Disneys Budget für die beiden Episoden soll bei etwa US$300 Mio. gelegen haben. Pro Film! Das bedeutet, dass die kleine Insel ihre jährlichen Staatsausgaben mit dem Budget für die beiden Filme etwa sieben lange Jahre bestreiten könnte! Aber egal: Johnny Depp soll’s gefallen haben. Kein Wunder. Denn nicht nur Johnny ging‘s hier prima. Das Resümee fällt eindeutig aus. Dominica ist ein spannender und entspannter Ort in spektakulärer Naturkulisse, in seiner Abgeschiedenheit das fast perfekte Paradies. Ob ich noch einmal zurückkehren würde? Immer gerne wieder!

P.S.:

Halt, da fehlt doch noch was! Die Karibik ohne Rum? Die überall in der Karibik vorhandenen Rum-Mixgetränke fehlen natürlich auch hier nicht. Und die können einem schon mal die Schuhe ausziehen. Ich bin nicht sicher, ob Rum-Punch etwas mit Panschen zu tun hat, doch manchmal scheint es so. Durstig kehren wir in eine winzige, verwaiste Bar ein: Nach mehrmaligem Klingeln schlurft eine etwa Fünfjährige heran, um uns zu bedienen. Die Beratung zwischen all den bunten Flaschen fällt verbal etwas spärlich aus und so zeige ich auf zwei harmlos aussehende, offensichtlich angesetzte Getränke. Zu meiner Verwunderung werden mir die zu sehr günstigen Konditionen, unverdünnt und nur auf Eis kredenzt. Weiß die Kleine, was sie tut? Das Gesöff entpuppt sich als starkes Anästhetikum, verursacht sofortige Schwindelanfälle, betäubt im Nu alle Gesichtsnerven und lässt mich schon nach zwei Schlucken lallen. Ganz das Gegenteil eines erfrischenden Cocktails: Umgehend beschließen wir, die Topfblumen damit zu vergiften.

Rum gibt es auf Dominica zu jeder Tageszeit, an jeder Ecke und in allen Varianten. Vom fruchtigen Mixgetränk über ‚in Würde gealtert‘ und dem Gaumen schmeichelnd, bis scharf brennend. So der berühmt-berüchtigte Over Proof. Der ist perfekt zum Mixen mit aromatischen Fruchtsäften geeignet, aber mit mindestens 57, eher mit 60plus Prozenten am Start. Wer testen möchte, ob er einen Over Proof im Glas hat, kann das übrigens mit dem klassischen Test der Britischen Navy leicht bewerkstelligen. Vorausgesetzt er hat zufällig gerade Schießpulver zur Hand. Denn: Die Matrosen wussten, dass mit diesem Fusel getränktes Schießpulver ab 57% Alkoholanteil gelb abbrennt. So viele Umdrehungen sollten es schon sein! Unverdünnt ähnelt der Geschmack wahrscheinlich am ehesten Flugbenzin. Also, Obacht, was ins Glas kommt!

 


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